Mittwoch, 24. September 2008

Die Reise meiner indischen Seele

EndeSept-002

Angeregt durch ein nettes Gespräch unter netten Bloggern über das Thema Inder und Indien, und weil ich im Moment gar keine Lust mehr habe, etwas über meinen derzeitigen Zustand zu schreiben, krame ich für Euch heute mal meine Liebe zu Indien, zu den Menschen und deren Kultur hervor.
Durch meine wunderbare Mutter, und die seit jeher herrschende Multikulturalität in unserer Familie, hatte ich schon früh viel mit asiatischer Kultur zu tun, aber Indien hat mich immer am meisten fasziniert. Ich lernte früh, indische Musik zu lieben, und meine Oma schenkte mir als Kind einen Sari, den ich zu meiner Hochzeit tragen sollte. Tja, der liegt noch immer in meinem Schrank, aber später kaufte ich mir selbst einen (s. Foto), bin aber immer unverheiratet geblieben.
Nach einigen mehrwöchigen, gutüberstandenen Europa - und Überseereisen, die ich meistens allein machte, wagte ich mich vor 7 Jahren an meinen Lebenstraum, und bereiste in 5 Monaten allein mit Rucksack in Bussen und Bahnen einen grossen Teil des indischen Subkontinents. Meine Reisezeit, von Mitte März bis Mitte August, war ungünstig gewählt, Riesenhitze und ab Juni Monsun, aber ich konnte die Reise nicht anders legen. Ich kam dort hin, viel Wissen aus Reiseführern im Kopf, eine Touristin zuerst, auf der Suche nach ihrer eigenen Vorstellung von Indien zwar, doch hinter einer Schutzmauer, die man als Tourist dort erstmal entsetzt hochzieht, angesichts des realen Elends, der zerlumpten, bettelnden Kinder, der verstümmelten Alten, der flehenden Mütter mit Kindern , der Millionen von neugierigen Menschenaugen, die keine Grenzen zu kennen scheinen, keine Privatsphäre gewohnt sind, Dich alle 2 Minuten anquatschen, Dich verfolgen, Dir was verkaufen wollen. Die ganze Wucht indischen Lebens und indischer Überbevölkerung, und relativ wenige Touristen, und natürlich musste ich mir alle Sehenswürdigkeiten reinziehen, bin auf einem Elefanten geritten und war im Palast der Winde, und in den Tempeln von Khajurao und in einem völlig ausgetrockneten Naturschutzgebiet und nach 4 Wochen war ich dann endlich von meinen touristischen Ambitionen geheilt, und fix und fertig, und verfrachtete mich für 6 Wochen nach Arambol, Goa.
Da ich ausserhalb der Saison dort war, waren relativ wenige, aber sehr viel nette Leute da, und ich hatte so ziemlich den tollsten Strandurlaub meines Lebens, und meinen Einstieg in die Magie Indiens, und auch so etwas wie meine Initiation als Trommlerin.
Unter einem gewaltigen Banyan-Luftwurzel-Baum, der mitten im Dschungel neben einer Quelle als Shiva-Tempel diente, und von Einheimischen, wie von Touristen besucht und ehrfürchtig gepflegt wurde, trommelte ich eine ganze Nacht auf einer kleinen, alten Trommel, und vertrieb die bösen Geister, und machte dann bei einigen Trommelsessions mit und wusste plötzlich, daß ich schon immer nach Varanasi (das frühere Benares) wollte, und dort einen Lehrer für indische Tablas suchen wollte. Das ist das tolle in Indien, da kann man sowas echt machen. Träume wahr machen. Verrückten Ideen folgen. Die ganze Zeit in weiten Hippiegewändern rumlaufen, (bequem, günstig und überaus empfehlenswert, da Du dann für Männer nicht automatisch Freiwild bist), am Lagerfeuer Chapatas rösten und Chai trinken, Trommeln und Tanzen am Strand und sich, zusammen mit anderen, netten Leuten jeglicher Nationalität für diese unglaublich präsente und starke Magie öffnen. Nach 6 Wochen direkt an der Brandung des arabischen Meers, dessen Tosen durch die unverglasten, vergitterten Fenster meines Zimmers schallte, war mein Gehör wie gereinigt, und ich schien plötzlich in meinem Inneren Musik zu hören, indische Harmonien, und ein tiefes, wunderbares Summen, ich hörte es immer und es war nicht unangenehm, als ob ich Indien selbst hören könnte.
Ich fuhr dann über Bombay direkt nach Varanasi, im Zugabteil 2 nette, junge Franzosen, die mich in eine nette Familienpension mitnahmen, ein Guesthouse direkt am Ganges, in dem ich 2 Monate blieb, und das direkt neben einem Shiva-Tempel lag. Wir kamen sehr früh morgens an, und mieteten uns einen Mann mit Ruderboot, der uns zum Ort des täglichen Sonnenaufgangsgebetes ruderte, und die Musik, die ich die ganze Zeit in meinem Kopf hörte, und die auch nach 2 Tagen Zuggeratter noch unverändert da war, schwoll plötzlich zu einem grossen, wunderbaren Klangerlebniss, und es war, als fände ich diese Musik in meinem Kopf wieder in den Stimmen dieser tausenden, auf ihr Gebet konzentrierten Menschen, die da in der Morgensonne am Ufer standen. Das war eines der schönsten und ergreifendsten Erlebnisse, die ich je hatte.
Ich fand einen freundlichen, älteren, ehrwürdigen Bramanen, der Tabla lehrte, und bei dem ich fast jeden Tag Unterricht nahm, und in meiner Pension konnte ich problemlos üben, dort waren Leute, die Flöte lernten, und ein Saiteninstrument, und aus den Zimmern klang oft Musik. Ich lernte meine Gastfamilie kennen, ging Hand in Hand mit Ihren Söhnen über den Markt, und erfuhr von der Frau des Hauses viel über das harte Leben indischer Frauen, über erzwungene Heirat, sie selbst liebte einen Mann, doch ihre Familie verheiratete sie gemäss ihrer Kaste mit einem Arzt, den sie nicht liebte, und doch hat sie ihm 2 Söhne geboren, und das Beste aus ihrer Situation gemacht. Mit den anderen Gäste der Pension fühlten sich alle zuweilen wie eine Familie, ich habe zum Teil jetzt noch Kontakte, und gemeinsam sahen wir den Monsun kommen, den Ganges Tag für Tag mehr anschwellen, standen im strömenden Regen nachts auf der schmalen Terrasse, und kamen uns vor wie auf hoher See, wir sahen Leichen im Wasser zwischen den Booten, und einen Kanu-Wettbewerb, und die Ghats immer schmäler werden, wir sahen eine Mondfinsterniss, überstanden die täglichen Stromausfälle, feierten Geburtstage, hatten jede Menge Spaß und halfen uns gegenseitig.
Den grössten Teil der in Indien verlorenen Kilos hab ich in Varanasi gelassen, als Durchfall das Plumsklo runtergespült, oder bei 47 Grad rausgeschwitzt, und schliesslich musste ich es verlassen.
Wenn man sich in Indien treiben lässt, kann man zuweilen an Orte gelangen, die einem sehr guttun, und so ließ ich mich nach Dharamsala treiben, in die Nähe des Exils des Dalai Lama. Genauergesagt kam ich nach Bhagsu, hatte 40 Grad Fieber und landete dehydriert und abgemagert erst mal im frischrenovierten tibetischen Hospital, und dann einigermassen aufgepäppelt in einer weiteren Familienpension, wo ich mich 5 Wochen in den Bergen mit tollen, herzlichen Leuten und meinen täglich gespielten Tablas, und ausgedehnten Spatziergängen wieder richtig erholte. Da hätte ich dann echt Lust gehabt, auch noch in den Süden Indiens zu fahren, aber dann musste ich leider wieder zurück, weil mein Visa abgelaufen war.
Das war wirklich nur ein kleiner, kurzer Eindruck dieser Reise.
Jedenfalls habe ich meine indische Seele dort gefunden, ich konnte mich schliesslich Land und Leuten gegenüber öffnen, und habe viele, vormals feste Meinungen revidiert, weil ich die Gelegenheit hatte, wirkliches, indisches Leben kennenzulernen, keine Klischees, sondern den Alltag und das einfache Leben, indem ich es teilweise einfach mitgelebt habe, zusammen mit den dort lebenden Menschen, und die Zeit hatte, mich auf einen wirklichen Dialog mit diesen Menschen einzulassen, bei ihnen zu sein, viel mit ihnen zu reden und auch mal zu helfen. Das ist meine Art des sanften Tourismus, mit Freundlichkeit, Neugier und Wissbegierde findet man die meisten Türen schon offen, und es gibt so viel zu lernen.
Bis jetzt konnte ich leider nicht dahin zurückkehren, aber das wird irgendwann geschehen, wenn ich kann, noch in diesem Leben.
Nach meiner Abreise verlor sich irgendwann meine innere Musik, Europa klingt tatsächlich dissonanter, aber manchmal kann ich sie wieder hören, in mir drin.
Tabla spiele ich inzwischen selten, doch meinen Lehrer werde ich nie vergessen, denn der hat mich mit Freundlichkeit gelehrt, wie man lernt, und so bin ich zur Djembe und zu meinem afrikanischen Lehrer gekommen, was für mich ein grosses Glück darstellt.
Ich bin froh und dankbar, daß ich diese Reise gewagt habe, deren Lektionen mich noch heute nähren.
1722 x aufgerufen und abgelegt unter Indien
creature - 2008/09/24 21:11

nett erzählt, ich konnte mich ein bischen da einfühlen!
bin auch viel gereist, indien hab ich nie geschafft.

tommy1208 - 2008/09/24 21:12

wow...

sprachlos gelesener Text.
man kann sich hineinversetzen in die Zeit und die Geschehnisse. (was mich aber nicht weniger neidisch macht... *g*)
für mich ist das eine unvorstellbare Möglichkeit, einen so langen Zeitraum reiss aus zu nehmen von diesem Leben - von dem ich zur Zeit echt genug habe.
Wobei es für mich zur Zeit keine so große Rolle spielt wohin die Reise ginge - sondern nur wann es los geht.
Fernweh ist manchmal schlimmer als Heimweh.

danke.

momoseven - 2008/09/25 00:13

Danke Euch

für das nette Feed-Back.
Ich glaube, es tut dem Menschen gut, wenn er ab und zu seinem Fernweh nachfühlen und nachgeben darf. Bei mir war es immer die treibende Kraft, denn ich war immer auf der Suche nach meinem wirklichen Zuhause. Und das ist letztlich überall da, wo ich bin. Das habe ich bei meinen vielen Reisen gelernt, dazu musste ich reisen.
Nachtgezwitscher - 2008/09/25 00:50

Oh wie schön!!!! Danke für den Text! Ich träume!
Und müde bin ich auch noch. Schlußfolgerung: Ich gehe jetzt ins Bett. Gute Nacht!

momoseven - 2008/09/25 11:51

Danke

Ich hoffe, Du hast gut geschlafen!
lightly - 2009/07/25 15:54

gesegnetes Kind-gesegnets Kind-gesegnetes Kind


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